25. Mai 2015

Heute beginne ich damit einen Blick auf das Album Incantations von Mike Oldfield zu werfen. Es erschien 1978. Mehr als zwei Jahre waren seit der Veröffentlichung des Vorgängers Ommadawn vergangen. In dieser Zeit hatte das Label Virgin Records eine Handvoll Füllmaterial zusammengekratzt, dabei Oldfields spärlichen Output noch mitverwertet. Es handelte sich dabei um die 4-LP-Kiste Boxed, die aus den drei ersten Platten bestand, sowie einem Album, das innerhalb der Kiste den Titel Collaborations trug. Die erste Seite bestand dabei aus Auszügen dreier David Bedford-Kompositionen, zu denen Mike Oldfield Gitarre beisteuerte. Oldfields Beitrag zu Star’s End (1974) war dabei ein zunächst überwältigend orgiastischer Auftritt, der begleitet durch Orchester, einer klanglichen Supernova schon recht nahe kam. Doch interessanter ist, mit welchem Können die Spannung nach dem Höhepunkt das Stück fortgeführt wird, und die Leere klanglich erschlossen wird. Während das komplette Bedford-Album Rime of the ancient Mariner (1975) eine fast schon langweilige Angelegenheit ist, so ist der The Rio Grande betitelte Auszug, der auf Collaborations zu finden ist, salbungsvoll. Ich habe im Normalfall absolut kein Herz für Kinderchöre, doch hier finden meine Ohren einen Schatz. Mag es an dem für den genormten Kinderchor unüblichen Text liegen, in welchem es sich um die Heimkehr der Seefahrer dreht? Liegt es an der Müdigkeit, der Sentimentalität, die hier eingeflochten wird? Chor und Klavier bedienen den Hörer so lange, daß sie dem Stück ihren Stempel aufdrücken und wenn nach fast zweieinhalb Minuten die Gitarre hereinschneit, ist das Spiel schon längst entschieden. Der Sieg ist sicher. Oldfield darf sich dafür noch fast alleine in den letzten zwei Minuten an gekonnter Atmosphäre einbringen. The Phaeacian Games aus The Odyssey (1976) ist gegenüber den beiden anderen Stücken schon fast alltägliche Rockmusik. Zu Bedfords gekonnten Synthesizermelodien, vollführt auch Oldfield seine feinen Läufe, die auch manch knuffigen Intervallsprung beinhalten. Der Vinyllaufzeit war jedoch die Präsentation von The Phaeacian Games geschuldet, denn dieses Stück ist weder der Höhepunkt der LP, noch von Oldfields Einsatz darauf. Doch wäre das zehnminütige Sahnehäubchen mit dem Titel The Sirens vermutlich einfach zu lang. Hier trumpft zunächst auch eher der Komponist David Bedford auf, der diese Meditation eines wahrlich betörenden Frauenchors, der sich aus der Ferne kommend immer weiter in des Hörers Ohr hinein schält, als Fortführung von Gustav Holts Neptun the Mystic schuf, und dabei den Blick auf die Geschichte der Odyssey nicht verlor. Diesem Gesang ist wirklich nur gefesselt oder mit dichtem Wachs in den Ohren zu entgehen. Oldfields Einsatz ist hier auch bei weitem nicht von solch staatstragender Rockqualität, wie in den Phaeacian Games, doch wer genau hinhört, wird nicht nur ob seines wunderschönen Spiels Tränen in den Augen spüren. Nur kurz nach der Veröffentlichung von Boxed durfte Oldfield noch ein weiteres Mal für David Bedford in die Saiten greifen. Es geschah dies auf Instructions for Angels (1977) und wir hören Mike Oldfield spielen, als sei er von Furien gejagt. Es geschieht dies im Titelstück des Albums Variation 6: Instructions for Angels. Für Nachwuchspsychiater sicherlich lohnenswert. Für Menschen, die ein Herz für endlos gequälte Gitarren und/oder Gitarristen haben, ebenfalls.

Doch zurück zur LP-Kiste und den Collaborations. Die zweite LP-Seite bietet nach der bisherigen Klasse eine konventionelle Berg- und Talfahrt. Die Höhepunkte sind das zu dem Zeitpunkt mehr als brandneue von Oldfield und Bedford in Gemeinschaftsarbeit gezimmerte First Excursion, das eine schöne Fortführung der Phaeacian Games bietet, doch mit weniger Benzin im Blut. Es hegt eher einen künstlerischen Aspekt, mag vermutet werden. Das von starker Melancholie geprägte Argiers ist ebenfalls ein Höhepunkt. Für diese Art Stücke hatte Oldfield ein Händchen: eine folklastiges Feeling, eine akustische Gitarre als Basis und ein einzelnes Melodieinstrument – im Falle von Argiers ist es eine Flöte, gespielt von Leslie Pennings. In Dulci Jubilo schafft es immer, mich zu spalten. So sehr mir das Stück in seiner gesamten Instrumentierung missfällt, so sehr liebe ich den Moment, wenn Mike Oldfield einsätzt und einen seiner wirklich gelungensten Läufe spielt, der einen Augenblick der Ewigkeit andeuten kann. Es ist wie übermässig lange die Luft anzuhalten. Es kommt der Moment, da sieht man nur noch Sternchen. Die beiden letzten Stücke, Portsmouth und Speak (thou‘ you only say farewell), halte ich hingegen für einfach schlechte Scherze. Da macht mir sogar der fabulöse Don Alfonso mehr Spaß.